Wenn Banken keine Zeit für die eigene Disruption haben
Von Ruedi Maeder,
Für Fortgeschrittene
ndgit Serie: Experten sprechen über Banking Disruption
Von Ruedi Maeder, Chefredakteur der Finanznachrichten-Plattform MoneyToday.ch
Traditionelle Banken sind sehr stark mit sich selbst beschäftigt. Nicht alle, viele. Das führt dazu, dass sie externen Disruptoren oftmals nicht entschlossen entgegentreten. Und für die eigene Disruption bleibt auch keine Zeit, weil noch zu viele andere Probleme anstehen.
Natürlich sind auch traditionelle Banken und Finanzinstitute aktiv in der Digitalisierung unterwegs. Allerdings geht es meistens weniger um das dringend notwendige neue Mindset innerhalb der Digitalen Transformation, das die Zukunft sichern könnte, primär wird digital optimiert.
Digitale Optimierung ist die geringste Ausprägung der Digitalen Transformation, eigentlich nur das kleine ABC der Digitalisierung und damit die Pflicht in der Gesamtwertung – sehr weit entfernt von der Kür, die Erfolg bringen kann.
Was ist denn ein Kürlauf?
Die Kür beschränkt sich nicht auf die Selbstverständlichkeit des Optimierens digitaler Prozesse und auf das Vermeiden von Medienbrüchen für Kunden.
Eine traditionelle Bank, welche ihre bisherigen Geschäftsmodelle infrage stellt, macht einen guten Anfang. Die Überlegungen, was Kunden in Zukunft von einer Bank erwarten und wie man mit den eigenen Kernstärken darauf reagieren kann, ist eine starke Fortsetzung.
Im Ergebnis führen diese Überlegungen zu neuen Konzepten und zu wirklich neuen Geschäftsmodellen, welche die Position der eigenen Bank stärken und mithelfen können, erfolgreich in die Zukunft aufzubrechen.
Dieser Kürlauf ist allerdings kein abgeschlossenes Projekt mit einem Anfang und einem Ende, er ist ein ständiger Marathon und ein laufender Prozess. Deshalb hilft es, genügend Ressourcen bereitzustellen, damit die Crew nicht atemlos wird und notwendige Veränderungen nicht an Geld und zu geringen Budgets scheitern.
Warum sollten Banken sich selbst disruptieren?
Die Antwort in kurzer Version: Weil es sonst andere tun.
Etwas ausführlicher: In den nächsten zehn Jahren wird es nicht so weiter gehen wie in den letzten zehn oder zwanzig Jahren. Warum nicht? Ohne Sie langweilen zu wollen, nur einige wenige und beispielhafte Eckpfeiler der Umwälzungen, die seit längerem im Gange sind:
Big Techs wie Apple, Google, Amazon, Alipay und weitere sind sehr aktiv mit konkreten Angeboten und Finanzdienstleistungen unterwegs – und sie werden noch sehr viel aktiver, um sich ein grosses Stück vom Kuchen zu sichern.
Einstige junge Wilde haben vor wenigen Jahren begonnen, ihre Ideen im kleinen Muster umzusetzen. Nach erstaunlich kurzer Zeit sind sie zu Unicorns mit Banklizenz geworden, haben Milliarden-Bewertungen, wachsen um 10’000 und mehr Kunden pro Tag (!), operieren zwischen sehr günstig und kostenlos und erweitern ihre Leistungen laufend und schnell. Zum Beispiel: N26, Revolut, Transferwiese und zahlreiche weitere.
Nahezu jeden Tag belegen Studien, dass die Probleme der Banken nicht kleiner werden, sie werden grösser. Aktuell und nur eines von zahlreichen Beispielen: Accenture mit der Prognose, dass Banken im Zahlungsverkehr bis 2025 rund 280 Milliarden Dollar verlieren könnten.
Ob Libra als Weltwährung kommt oder nicht, mag heute noch in den Sternen stehen. Tatsache ist, die Entwicklung von Krypto- und digitalen Währungen ist losgetreten und geht mit Schwung weiter. Kryptobanken und Kryptobörsen von FinTechs tangieren mit Tokenisierung und digitalen Vermögenswerten das Kerngeschäft der Banken gleich in mehreren Bereichen.
Die Liste der disruptiven Entwicklung kann beliebig erweitert werden und wird laufend mit neuen Nachrichten und Fakten fortgeschrieben.
Banken haben es aber auch schwer
Stimmt, nur interessiert das auf Kundenseite keinen. Ob Banken seit der letzten Finanzkrise unter exorbitant erweiterten regulatorischen Vorschriften leiden und massiv in Compliance und Prozesse investieren müssen, ist für Retail- oder Wealth-Kunden keinen Gedanken wert.
Welche Einschränkungen und Hürden die IT, monolithische Kernbanken- und Legacy-Systeme setzen, ebensowenig. Dass Banken unter der PSD2 ihren gehüteten Schatz, die Kundenschnittstelle, öffnen und teilen müssen, ist für Kunden in Zeiten von Open Banking und smarten Plattformen ein Vorteil. Von dieser Seite ist also auch kein Mitleid zu erwarten.
Ebenso wenig fühlen Kunden mit, wenn Grossbanken als Supertanker Mühe haben, schnell und wendig zu manövrieren oder wenn die von Tradition geprägte Firmenkultur nicht von heute auf morgen den veränderten Verhältnissen angepasst werden kann.
Dass die Zinsentwicklung die erodierende Erlössituation der letzten Jahre Banken dazu treibt, laufend ihre Gebühren zu erhöhen, ist aus der Sicht der Banken verständlich. Dasselbe Verständnis sollte jedoch nicht von den Kunden erwartet werden, welche aus einer Vielzahl von Null-Gebühren-Angeboten der Disruptoren auswählen können. Und, nebenbei bemerkt, mit demselben Null-Verständnis, werden die Kunden auch Negativzinsen begegnen, welche Kosten und Ertragsausfälle der Banken kompensieren sollen.
Wenn FinTechs und Big Techs mit explosiven Wachstumszahlen neue Finanzservices zu sehr tiefen Gebühren oder oftmals zum Nulltarif anbieten, geraten die Banken zusätzlich unter Druck. Die vielbeschworene Treue zur Hausbank wird noch eine kurze Weile halten, bald schon jedoch der Lust weichen, neue Services zu testen und von tiefen Gebühren zu profitieren.
Mit anderen Worten: Kunden sind ihrer Hausbank in aller Regel wohl gesonnen und halten eine gewisse Treue. Das ist ein nutzbarer Vorteil für Banken. Dieselben Kunden neigen jedoch dazu, nach einer Karenzfrist gnadenlos zu urteilen und zu agieren, wenn ihr Bekanntenkreis im Bereich Finanzen zunehmend sehr viel günstiger und mit smarteren Leistungen unterwegs ist. Das ist ein schwebendes Damoklesschwert für Banken und extrem gefährlich. Zumal sich die Sicherheit einer vermeintlichen Beständigkeit nur als die Ruhe vor dem Sturm herausstellen kann.
Was ich damit sagen will: Der Fokus auf Widrigkeiten, Hindernisse, Hürden und auf das argwöhnische und passive Beäugen neuer Entwicklungen, trägt keine Früchte und wird längerfristig ins Verderben führen. Der Rest der Anbieter-Welt ist sehr aktiv, mitleidlos, und die Bankkunden sowie vor allem die Konsumenten der neuen Generationen (Gen Y und Gen X) sind es ebenso.
Welche Optionen haben die traditionellen Banken?
Disruption ist aktuelle Entwicklung und erlebte Tatsache – und sie wird noch zunehmen. In sämtlichen Branchen, ganz besonders auch in der Finanzindustrie. Ein Blick auf die möglichen und konkret im Markt beobachteten Verhaltensweisen kann erste Lösungsansätze liefern:
Szenario 1: Schockstarre, Ignoranz und Niedergang
Die Marktgrössen der Vergangenheit beäugen die Entwicklungen in einer Mischung aus Ignoranz und Arroganz, geraten dennoch in Schockstarre, pochen trotzig auf angestammte Reche und halten analoge Traditionen hoch. In der Überzeugung, es lief doch ganz gut so in der Vergangenheit, deshalb soll alles so bleiben, wie es ist. Der Erfolg der früheren Tage und die eigene erreichte Grösse werden als Schutzschild gesehen, der Unheil und Gefahren abwenden wird.
Damit stellen diese wehrhaften Unternehmen die Weichen – das Unternehmen ist angezählt, es wird an Glanz und Grösse verlieren, im schlimmsten Fall über kurz oder lang untergehen.
Szenario 2: Falsche Schlüsse und halbherziges Reagieren
Die disruptierten Unternehmen verlegen sich aufs Beobachten. Sie beobachten lange. Und noch länger – so lange, bis sie ganz sicher sind, dass die Disruptoren nicht als Eintagsfliegen operieren, sondern laufend an Grösse gewinnen und den Beobachtern mehr und mehr des eigenen Terrains streitig machen.
Die hektisch initialisierten Projekte der betroffenen Unternehmen kommen in dieser Phase zu spät, gehen halbherzig eher in Richtung digitaler Optimierung und Detailkosmetik und haben deshalb schlicht nicht die Kraft, das Steuer herumzureissen. Für diese Unternehmen wird’s schwierig, sie gehen mit ihrer Defensiv-Strategie mitten in einen lange währenden Kampf um Marktanteile, die laufend weniger werden.
Szenario 3: Agieren und selbst zum Disruptor werden
Die agile Fraktion der disruptierten Unternehmen fragt sich, weshalb sie selbst nicht schon längst zu Disruptoren im eigenen Markt geworden sind. Schnell und ohne Umwege werden digitale Strategien und neue Geschäftsmodelle entwickelt, welche Kunden und deren neue Wünsche ins Zentrum stellen.
Von den Disruptoren kann man lernen, von den Verweigerern ebenfalls – das Unternehmen definiert sich neu, durchläuft schmerzvolle Prozesse und wird selbst zum Disruptor innerhalb der eigenen Branche, mit neuen Geschäftsmodellen möglicherweise sogar über die eigene Branche hinaus.
Agieren ist die beste Versicherung für die Zukunft
Für welchen Weg traditionelle Banken und Finanzinstitute sich entscheiden, mag mit den individuellen Möglichkeiten, Temperamenten und der Fortschrittlichkeit der Führungsebene zusammenhängen.
Fakt ist: Die Umfelder sind schwieriger geworden, die Chancen und Möglichkeiten jedoch gerade dadurch sehr viel grösser. Die Voraussetzung, um diese Chancen zu nutzen, liegt in tragfähigen Strategien und in neuen Geschäftsmodellen, die im Markt ankommen. Das eine wie das andere sollte mit Tempo angepackt und umgesetzt werden, es ist höchste Zeit. Die Entwicklung im Bereich der neuen Finanzdienstleistungen holt erst Anlauf und ist dennoch bereits sehr weit fortgeschritten.
Wer die Möglichkeiten von Open Banking und Plattformen ausschöpft, wer seine Kunden und deren Bedürfnisse liest und sie mit neuen Leistungen und Services zu vernünftigen Kosten überrascht, nutzt die Chancen.
Wer die Initiativen von FinTechs und von Big Techs nicht nur bekämpft, sondern besser mit eigenen starken Lösungen beantwortet, wird seine Position im Markt sichern und möglicherweise sogar ausbauen können. Dass Kooperationen mit den neuen Angreifern helfen und Prozesse beschleunigen können, liegt als Variante auf der Hand.
Artenschutz gibt’s nicht mehr, auch nicht für Banken – kreative Macher und Anbieter neuer Geschäftsmodelle brauchen jedoch auch keinen Schutz, ihr aktives Agieren ist die beste Versicherung für die Zukunft.
Mit anderen Worten: Alle Chancen sind intakt. Wer sie passiv vorüberziehen lässt, muss sich auf stürmische Zeiten einstellen. Wer sie aktiv nutzt und laufend am Ball bleibt, wird Erfolg haben.
Blogger Shortbio
Ruedi Maeder ist Chefredakteur der redaktionell geführten Finanznachrichten-Plattform MoneyToday.ch. Als Spezialist für Digitalisierung und FinTech publiziert und referiert er laufend zu Themen und Entwicklungen, welche die Finanzwelt in Bewegung halten.
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